Womit alles begann
Die Renault Geschichte beginnt vor 120 Jahren mit der „Voiturette”. Am Abend des 24. Dezember 1898 startet Louis Renault in Paris mit dem Prototyp seines ersten Automobils zur Testfahrt. Publikumswirksam steuert er ein Restaurant im Zentrum an, wo er eine Wette abschließt, die für seine Zukunft von entscheidender Bedeutung ist: Wenn es ihm gelingt, mit seiner Konstruktion die 13-prozentige Steigung der Rue Lepic zum Montmartre zu erklimmen, gewinnt er 60 Louis d’or.
16. Februar 2018
Die Voiturette schafft den Hang dank zweier wegweisender Innovationen mit Bravour: einem 3-Gang-Getriebe, dessen höchste Stufe als Direktantrieb ausgelegt ist, und der Kraftübertragung per Kardanwelle anstelle der damals üblichen Gliederkette. Dank der eindrucksvollen Demonstration gewinnt Louis Renault nicht nur den Wetteinsatz, sondern noch am selben Abend die ersten zwölf Aufträge für den Bau einer „Voiturette”, die Geburtsstunde des Automobilherstellers Renault.
Daten & Fakten
- Erstes Renault Automobil
- Erstes Fahrzeug der Welt mit Kardanantrieb
- 3-Gang-Getriebe mit Direktantrieb
- Luftgekühlter Einzylindermotor mit 270 Kubikzentimeter Hubraum und 1,75 PS Leistung
- Höchstgeschwindigkeit: 32 km/h
- Serienfertigung 1899 bis 1900 unter der Bezeichnung „Typ A”
Mit der „Voiturette” feierte 1898 nicht nur das erste Renault-Automobil seine Premiere. Das vom Unternehmensgründer Louis Renault ebenfalls entwickelte Dreiganggetriebe mit direktem Gang und Kardanwelle ging darüber hinaus als „erster Antrieb ohne Ketten” in die Automobilgeschichte ein. Der Voiturette Prototyp, der in einer Werkstatt in Boulogne-Billancourt entstand, legte sowohl die technologische als auch die wirtschaftliche Basis für den Erfolg des späteren Weltkonzerns Renault.
1898 – die Zeit kurz vor dem Eintritt in das 20. Jahrhundert ist durch unermüdlichen Erfindergeist und uneingeschränkten Glauben an die Technik geprägt. Vom Eiffelturm wird die erste Radiosendung ausgestrahlt, die erste Zweirrad-Ausstellung öffnet Ihre Pforten, Pierre und Marie Curie isolieren das Radium, und die Industrialisierung läuft auf Hochtouren. Als ein Kind dieser Zeit war Louis Renault fest entschlossen, Automobile zu bauen und die Menschen zu mobilisieren. Seine „Voiturette” (automobiles Fahrzeug mit zwei nebeneinander liegenden Plätzen) war eine technologische Glanzleistung. Sie war aber auch Symbol der Freiheit betuchter Stadtmenschen, und sie lieferte darüber hinaus die Basis für den ersten Renault Rennwagen – in dem kleinen Automobil spiegelten sich die Innovation und der Zeitgeist einer ganzen Epoche wider.
Entwicklung einer genialen Erfindung
Mit 21 Jahren kauft Louis Renault von den Ersparnissen seiner Militärzeit einen De Dion Bouton Dreiradwagen. Da ihm die Technik dieses Gefährts als unzureichend erscheint, baut er das Fahrzeug nach seinen eigenen Vorstellungen komplett um. Er konstruiert einen neuen Stahlrohr-Rahmen und eine Aufhängung für vier Räder. Um die nicht gerade üppige Kraft des zunächst nur 0,75 PS starken Einzylinder-Motors optimal ausnutzen zu können, lässt Renault sich etwas revolutionär Neues einfallen: ein Dreiganggetriebe, dessen höchste Stufe als Direktantrieb ausgelegt ist. Der Sekundärantrieb erfolgt nicht, wie damals üblich, via Gliederkette, sondern über eine starre Welle (Kardanwelle), die die Kraft zu den Hinterrädern leitet. Auch ein Rückwärtsgang fehlt nicht. Diese innovative Lösung geht später als erster „Antrieb ohne Ketten” in die Automobilgeschichte ein. Doch zunächst glaubt niemand in Renaults Familie, die eine Knopf- und Tuchfabrikation unterhält, so recht an den Erfolg der Tüftelei.
Der erste Test bringt den gewünschten Erfolg
Louis Renault ist jedoch überzeugt von seiner Erfindung und montiert in nur zwei Monaten sein erstes Automobil; denn für die Fertigstellung hat er sich einen ganz bestimmten Termin gesetzt: Am Abend des 24. Dezembers startet er – pünktlich zum Weihnachtsfest 1898 – zur ersten Probefahrt in eine Bar in der Rue Helder: Er will seine Brüder und Freunde mit dem Voiturette Prototyp überraschen. Angelockt von den damals noch ungewohnten Geräuschen einer motorisierten „Kutsche”, versammeln sich die Gäste auf der Straße, um das Fahrzeug zu begutachten. Die Voiturette ist das Thema des Abends, und beim gemeinsamen Essen wird eine Wette geschlossen, die für den weiteren Werdegang dieser Konstruktion von existentieller Bedeutung ist: Einer der Herren fordert Louis Renault auf, mit seinem Automobil die 13-prozentige Steigung der Rue Lepic zu erklimmen. Im Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit seiner Konstruktion schlägt Renault ein. Die Voiturette schafft die Steigung sogar mit zwei Personen an Bord, und Louis Renault gewinnt den Wetteinsatz von 60 Goldmünzen. Doch was viel wichtiger ist: Diese eindrucksvolle Demonstration bringt ihm die ersten zwölf Aufträge zum Bau von Automobilen ein.
Das Renault Patent wird schamlos ausgebeutet
Durch diese Anerkennung bestätigt, stellt Renault am 9. Februar 1899 seinen heute legendären Patentantrag mit der Nummer 285753 für ein „Schaltgetriebe mit verschiedenen Gängen für Automobilfahrzeuge”. Die neue Technik setzt sich schnell durch: Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA zählt die Renault Entwicklung bald zur Standardausrüstung aller namhaften Hersteller. Zum Ärger von Louis Renault ist um die Jahrhundertwende allerdings auch die Ausbeutung erfolgreicher Patente gang und gäbe. Sowohl debütierende Hersteller als auch etablierte Unternehmen nehmen sich unerlaubt das Recht, das neue Antriebs- und Gangwechselsystem zu kopieren. Besonders dreist ist ein gewisser Corre, der eigentlich gar kein Hersteller, sondern einer der ersten Renault Vertreter ist. Er baut die Renault Fahrzeuge ganz einfach nach, um sich auf eigene Faust an deren Erfolg zu bereichern. Louis Renault weiß sich im Alter von 26 Jahren gegen derlei Rechtsverstöße zu wehren und verklagt Corre. Dieser hat keine Chance und wird zu 25.000 Franc Schadenersatz verurteilt, womit ein Präzedenzfall besteht. Die schuldbewussten anderen Hersteller entziehen sich daraufhin nicht ihrer Pflicht und zahlen ebenfalls beträchtliche Summen.
Die Voiturette geht in Serie
Weil dies in den Anfangstagen des Unternehmens noch nicht vorhersehbar ist, baut Louis Renault zunächst auf die finanzielle Unterstützung seiner Brüder Marcel und Fernand. Gemeinsam gründet man – rückwirkend zum 1. Oktober 1898 – am 25. Februar 1899 die Firma Renault Frères. Die Dauer dieser Unternehmung wird zunächst auf zwei Jahre beschränkt, denn Marcel und Fernand sind noch skeptisch. Die Brüder rechnen für diesen Zeitraum mit einem Verkaufspotential von nicht mehr als 30 Fahrzeugen. Mit sechs Arbeitern machen sich die drei Jungunternehmer in ihrem 300 m2 kleinen Betrieb ans Werk. Die erste kommerzialisierte Auflage der Voiturette, der Typ A, erfährt gegenüber dem Prototypen einige Detailverbesserungen. Renault vergrößert den Hubraum des De- Dion-Bouton-Einzylinders von 198 auf 273 cm3 und erhöht die Leistung auf 1,75 PS. Den bisher frei liegenden Motor verkleidet er mit einer schmucken Haube. Dank des direkten dritten Gangs beschleunigt das 280 kg leichte Fahrzeug auf eine Höchstgeschwindigkeit von damals sensationellen 45 km/h. Die Abmessungen dieses offenen Fahrzeugs sind mit 1,90 Metern Länge, 1,15 Metern Breite und knapp 1,40 Metern Höhe nach heutigen Maßstäben mehr als kompakt. Pilot und Beifahrer können sich zwar bequem an eine Rückenlehne schmiegen, sitzen aber zunächst auch bei schlechtem Wetter im Freien.
Der erste Rennwagen von Renault heißt „Voiturette”
Auf der zweiten Pariser Automobilausstellung stellen die Renault Frères zum ersten Mal ihr Produkt der breiten Öffentlichkeit vor. Die Presse ist beim Anblick der Voiturette äußerst angetan. „Es ist ein Geniestreich, Monsieur Renault, Sie sollten Werbung machen, Rennen fahren, wie Brasier, Mors und Panhard”, schwärmt ein Journalist der Zeitschrift „Le Velo”. Gesagt, getan: Renault steigt in den Rennsport ein, die damals mit Abstand effektivste Form der Automobilwerbung.
Im Rennzirkus vor der Jahrhundertwende sind die Brüder Renault noch vollkommen unbekannt. Doch direkt bei ihrem ersten Wettbewerb, der Prüfung für Amateur-Chauffeure beim Rennen „Paris-Trouville”, landen Louis und Bruder Marcel Renault auf den ersten beiden Plätzen in ihrer Klasse. An diesem – aus heutiger Sicht seltsamen – Rennen nehmen außer Automobilen auch Zweirräder aller Art und sogar Reiter und Läufer teil. Die Voiturette von Louis Renault schafft die 172 Kilometer in 4 Stunden, 21 Minuten und 21 Sekunden und überquert die Ziellinie knapp gefolgt von dem Reiter Girem – dieser ist mit seinem Pferd allerdings schon sieben Stunden vor den Voiturettes an den Start gegangen. Louis Renault hat seine Brüder mit dem Rennbazillus angesteckt. Die Frères treten jetzt regelmäßig mit baugleichen Voiturettes an. Das hat eine anhaltende Siegesserie zur Folge, die sich prompt in den Auftragsbüchern niederschlägt.
Rennerfolg bringt Verkaufserfolg
Schon innerhalb des ersten Produktionsjahres verkaufen sich 76 Fahrzeuge. Renault beschließt, die Rennerfolge mit Werbung zu verbreiten. „Immer die Ersten” heißt es auf seinen Plakaten. Sogar der Prototyp aller Marketing-Kooperationsstrategien wird erfunden: Renaults Reifenausstatter „Vital” nutzt ebenfalls den Rennerfolg der Gebrüder Renault, um seine Produkte zu verkaufen – eine Praxis, die heute nicht mehr wegzudenken ist.
Louis Renault entwickelt seine Voiturette ständig weiter. Nach dem „Typ A”, der zur Jahrhundertwende auch als „Schlechtwetterlösung” mit einem kantigen Dachaufbau angeboten wird, folgt der „Typ B” mit nochmals gesteigerter Leistung und längerem Radstand. Mit dem „Typ C”, einer weiteren Entwicklungsstufe der Ur-Voiturette, gelingt der bis dahin größte Verkaufserfolg: Nach dem Sieg beim Rennen Paris-Toulouse-Paris im Jahre 1901 gehen 350 Neubestellungen ein. Die Renault Brüder setzten fortan auf die Expansion im Ausland. Bemerkenswert ist, dass Renault die erste französische Export-Voiturette an einen wohlhabenden Kunden auf die Insel Sumatra liefert. Abgesehen von diesem Sonderfall, bleibt der europäische Markt dominant. Um hier wertvolles Terrain zu erobern, nimmt Renault am großen Rennen „Paris-Berlin” teil. Nach dem erwarteten Sieg genießt die Marke auch hierzulande einen ausgezeichneten Ruf, und noch im Jahre 1901 gründet die junge Firma ihren Sitz in der deutschen Hauptstadt. In kurzer Zeit folgen weitere Vertretungen in ganz Europa.
Bereits zur Jahrhundertwende beschäftigt das Familienunternehmen auf einer Fläche von 4.680 m2 mehr als 100 Mitarbeiter, und dennoch reichen die Kapazitäten nicht aus. Nur zwei Jahre nach der legendären Wettfahrt auf der Rue Lepic werden mehr als doppelt so viele Fahrzeuge nachgefragt, wie das Werk in Boulogne-Billancourt produzieren kann. Die Basis für den späteren Weltkonzern Renault ist gelegt
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